Röntgendiagnostik bei Crashtests nimmt Fahrt auf

Röntgendiagnostik bei Crashtests nimmt Fahrt auf

© Daimler
Mit der Ultrakurzzeit-Röntgentechnologie lässt sich das Verhalten sicherheitsrelevanter Bauteile im Innern des Fahrzeugs untersuchen.
© Fraunhofer EMI
FE-Crashsimulation in teiltransparenter Darstellung.

Seit dem Jahr 2016 erforscht das Fraunhofer EMI im Crashzentrum der Fraunhofer-Gesellschaft das Potenzial der Röntgendiagnostik bei Crashtests mit der neuartigen X-ray-Car-Crash-Technologie (X-CC). Röntgen ist eine etablierte Technologie der Materialforschung, die sich bisher im industriellen Bereich jedoch überwiegend auf statische und quasistatische Untersuchungen beschränkt. Mit der X-CC-Technologie kombiniert das Fraunhofer EMI das Röntgen mit hochdynamischen Verformungsprozessen unter Crashbedingungen und liefert dadurch einen Beitrag zum Verständnis des Verhaltens innenliegender Strukturen beim Crash. Die Ergebnisse fließen in die Simulation zur Optimierung von Strukturen, Bauteilen oder Werkstoffen ein. Langfristiges Ziel ist es, ein Röntgenvideo der Crashversuche zu erhalten. Der Geschäftszweig hat sich für das Fraunhofer EMI zu einem erfolgreichen und großen Forschungsfeld entwickelt und trifft auf gesteigertes Interesse in Industrie und Forschung. Das EMI entwickelt neue Methoden, Simulationen und Anwendungsfelder, führt Industrieprojekte mit namhaften Kunden durch und plant die stetige Weiterentwicklung des Testaufbaus für zukünftige Untersuchungen.

 

Erfolgreicher Abschluss verschiedener Industrieprojekte

Im Rahmen des Tech Center i-protect untersuchte das Fraunhofer EMI zusammen mit der Daimler AG den Einsatz der Röntgentechnologie bei Crashversuchen mit dem Ziel, sicherheitsrelevante Bauteile innerhalb eines Fahrzeugs auch während eines Crashtests sichtbar zu machen und diese mit computergestützten Simulationsmodellen zu kombinieren, um die Prognosezuverlässigkeit von Crashsimulationen weiter zu verbessern. Das im Januar 2016 gestartete Projekt konnte 2018 erfolgreich abgeschlossen werden.

Bei einem weiteren Industrieprojekt lag der Fokus auf der experimentellen Untersuchung von Bauteilen mithilfe der Röntgentechnologie. Durch den zusätzlichen Einsatz eines 3D-Hochgeschwindigkeitsscanners konnten die Röntgenbilder im Raum verortet und ein zeitaufgelöstes Modell der Versuchsdaten generiert werden. Der Scanner wurde von Fraunhofer EMI zusammen mit dem Fraunhofer IOF und Fraunhofer SCAI entwickelt und im Rahmen dieses Industrieprojekts erfolgreich eingesetzt. Der Einsatz des Tools ist ein wichtiger Schritt hin zur Kombination verschiedener Technologien in der Simulation. Ein drittes Industrieprojekt beschäftigte sich mit der Verbesserung der Röntgensimulation zur Versuchsplanung sowie der Auswertungsstrategie und der dazu benötigten Algorithmik. Es wurde dieses Jahr ebenfalls mit Erfolg abgeschlossen.

Forschungsergebnisse, die sich sehen lassen können

Die Forschungsergebnisse der X-CC-Technologie treffen auf großes öffentliches Interesse. Starken Andrang hatte beispielsweise der Auftritt des Fraunhofer EMI auf der Hannover Messe im April 2017. Dort erklärten Forscherinnen und Forscher die Röntgentechnologie anhand eines nachgebildeten Testaufbaus. Das Testfahrzeug, eine von Daimler zur Verfügung gestellte Mercedes-Benz E-Klasse und der nachgestellte Röntgenblitz zogen Besucher aus Forschung, Politik und der breiten Öffentlichkeit an. Zu den prominenten Standbesuchern zählten unter anderem der Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft Professor Reimund Neugebauer zusammen mit den Vorstandsmitgliedern Professor Georg Rosenfeld und Professor Alexander Kurz sowie Reinhard Bütikofer von den Grünen und EU-Kommissar Günther Oettinger. Der Röntgencrash ist auch für das Fachpublikum ein gefragtes Thema. So sprachen im März 2017 Dr. Malte Kurfiß und Dr. Stefan Moser auf dem 17. Seminar D+S »Aktuelle Fragen der Durchstrahlungsprüfung und des Strahlenschutzes« der Deutschen Gesellschaft für Zerstörungsfreie Prüfung über »Röntgenuntersuchungen für kurzzeitdynamische Anwendungen«, und auf der Leichtbautagung der Fraunhofer-Allianz Leichtbau im November 2017 referierte Dr. Malte Kurfiß zum Thema Hochgeschwindigkeitsröntgen in der Fahrzeugcrashdiagnostik.

© Fraunhofer EMI
Die X-CC-Technologie stößt beim bunt gemischten Publikum der Hannover Messe 2017 auf großes Interesse.

Erweiterung der experimentellen Möglichkeiten

Ein wichtiger Schritt zum Ziel des Röntgenvideos ist die Beschaffung einer leistungsstarken Röntgenquelle. Intensive Diskussionen mit weltweit führenden Herstellern von Linearbeschleunigern führten zu einer Ausschreibung, deren technische Anforderungen deutlich über bisher kommerziell erhältliche Beschleuniger hinausgehen. Das Vergabeverfahren konnte im Dezember 2017 erfolgreich abgeschlossen werden. Parallel zur Beschaffung der neuen Röntgenquelle wurde deren Integration in die Crashhalle angestoßen. Hier stellt insbesondere der Strahlenschutz eine Herausforderung dar. In Zusammenarbeit mit erfahrenen Experten vom Kompetenzfeld Strahlenschutz der B.A.D Gesundheitsvorsorge und Sicherheitstechnik GmbH und der Firma diondo GmbH wurde ein Strahlenschutzkonzept erstellt, das in einer ersten Vorstellung bei den zuständigen Behörden positiv beurteilt wurde und in der nächsten Projektphase umgesetzt wird. Durch die Anschaffung des neuen Linearbeschleunigers LINAC stehen dem Fraunhofer EMI neue experimentelle Möglichkeiten zur Verfügung. Mit der sehr hohen Energie von neun Megaelektronenvolt können ganze Fahrzeuge durchleuchtet werden. Die in der Endausbaustufe anvisierte Bildrate von 1000 Hertz ermöglicht die Röntgendiagnose schneller Vorgänge im Fahrzeugcrash. Die neue Ausstattung der Crashhalle wird ab April 2018 in Form einer MAVO (Fraunhofer-interne, marktorientierte strategische Vorlaufforschung) zur Anwendung gebracht. In dem dreijährigen Projekt, das mit 3,2 Millionen Euro gefördert ist, wird das EMI in Kooperation mit dem Fraunhofer-Entwicklungszentrum Röntgentechnik EZRT an der Entwicklung eines schnellen Röntgendetektors und an Methoden zur Röntgenbildanalyse forschen. Auch weitere internationale Industrieprojekte profitieren von den neuen Möglichkeiten des Röntgencrashs am EMI.

Erste erfolgreiche Demonstration eines Röntgenvideos vom laufenden Motor eines Simson Mofas. Der Kolben bewegt sich mit etwa 1900 Umdrehungen pro Minute. Die Bildrate liegt bei 1000 Hertz.