Modellierung der Laserwirkung auf energetische Materialien

Der Hochleistungslaser bietet großes Potenzial

Entwicklung neuartiger Verfahren zur sicheren Entschärfung von Sprengsätzen und im Feldlagerschutz

© Fraunhofer EMI
Abbildung 1: Darstellung eines konventionellen Cookoffs und eines Laser-Cookoffs. Beide haben den Charakter einer thermischen Initiierung und den Verlauf von einer langsamen Preignition-Phase über die Zündung (Ignition) zur schnellen Postignition-Phase.
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Abbildung 2: CAD-Bild eines entwickelten Probenkörpers mit einem Zentimeter Wandstärke und Gewinden für druckdichte Verschraubungen zur Temperaturmessung im Innern der Probe während der Laserbestrahlung (von links).

Die Untersuchung der Wirkung intensiver Laserstrahlung auf energetische Materialien ist ein Thema mit erheblicher Relevanz für die Sicherheits- und Verteidigungsforschung. Der Hochleistungslaser bietet unter anderem bei der Entwicklung neuartiger Verfahren zur sicheren Entschärfung von Sprengsätzen und zur Abwehr von Mörsergranaten und Raketen im Feldlagerschutz großes Potenzial. Die dabei auftretenden Prozesse konnten in der Vergangenheit noch nicht adäquat beschrieben werden und wurden im Rahmen einer Doktorarbeit experimentell und numerisch erarbeitet.

Der Laser-Cookoff

Um die Sicherheit von Explosivstoffen im Brandfall zu bewerten, sind sogenannte Cookoff-Tests etabliert, bei denen die energetischen Materialien langsam bis hin zur thermischen Zündung erwärmt werden (Abbildung 1). In Analogie dazu wird die Aufheizung energetischer Materialien mit einem Hochleistungslaser auch als Laser-Cookoff bezeichnet. Im Gegensatz zum konventionellen Cookoff bewirkt der Laser eine lokale Aufheizung mit höheren Heizraten. Dies hat einen größeren Temperaturgradienten im energetischen Material zur Folge.

Ein Cookoff beginnt mit der Preignition-Phase (Abbildung 1), in der das energetische Material aufgeheizt wird und seine Reaktion langsam, unter Freisetzung chemischer Energie, startet. Die Reaktion wird selbsterhaltend, sobald mehr chemische Energie freigesetzt wird als abtransportiert werden kann. Dies markiert den Zeitpunkt der thermischen Zündung (Ignition). Die anschließende Postignition-Phase ist geprägt von der schnellen Umsetzung des noch unverbrauchten energetischen Materials. Die rasche Freisetzung und Expansion gasförmiger Reaktionsprodukte kennzeichnen die explosive mechanische Wirkung des energetischen Materials. Während es in der Preignition-Phase von Interesse ist, ob und wann es zu einer Zündung kommt, steht in der Postignition-Phase die Frage nach der Reaktionsstärke im Mittelpunkt.

Experimentelle Untersuchungen zum Laser-Cookoff

Für die systematische Analyse der Vorgänge bei der Laserwirkung auf energetische Materialien wurden in der Vergangenheit bereits zahlreiche experimentelle Untersuchungen am Fraunhofer EMI durchgeführt. Dabei werden zum Beispiel zylinderförmige Referenzproben, wie sie in Abbildung 2 zu sehen sind, mit Explosivstoffen gefüllt und anschließend in einem Speziallabor mit einem leistungsfähigen Laser bestrahlt. Die dabei ablaufenden Prozesse können im Detail mit spezieller Hochgeschwindigkeitsmesstechnik sowie mit Hochgeschwindigkeitskameras und Röntgenblitzröhren erfasst und analysiert werden. Die Preignition-Phase liegt dabei typischerweise in der Größenordnung von Sekunden, während die Postignition-Phase innerhalb von Mikrosekunden abgeschlossen ist.

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Abbildung 3: Vergleich des kritischen thermischen und mechanischen Zeitschritts für verschiedene Elementgrößen.
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Abbildung 4: Beispielhafte Zeitschrittreduktion des Multizeitskalenansatzes.

Aufbau einer Simulationsumgebung

Für ein detailliertes Verständnis wurde eine Simulationsumgebung aufgebaut, mit welcher der gesamte Reaktionsablauf einschließlich Aufheizphase und thermischer Initiierung abgebildet werden kann. Die Modellierung der relevanten Prozesse gelang ohne zusätzliche Annahmen, lediglich auf der Basis von physikalischen Gesetzmäßigkeiten und von Materialparametern aus der Literatur. Die Simulationsumgebung wurde auf Basis eines bestehenden Hydrocodes entwickelt, da sich Hydrocodes insbesondere für die Simulation der hochdynamischen Postignition-Phase eignen. Der Hydrocode wurde erweitert, um neben den mechanischen Prozessen auch die Energieeinkopplung durch den Laser sowie thermische und chemische Prozesse modellieren zu können.

Eine besondere Herausforderung ergab sich aufgrund der stark unterschiedlichen Zeitskalen der einzelnen Prozesse. Der Zündzeitpunkt lag für die kleinste verwendete Laserleistung von einem Kilowatt bei etwa einer Minute. Die Simulation eines solch langen Vorgangs im explizit integrierenden Hydrocode würde aufgrund des kleinen, kritischen mechanischen Zeitschritts in der Größenordnung von einer Mikrosekunde zu lange dauern. Deswegen wurde ein Multizeitskalenansatz entwickelt, mit dem die mechanischen Prozesse zunächst vernachlässigt werden und stattdessen der in diesem Fall circa 100 000-fach größere kritische Zeitschritt der Wärmeleitung herangezogen wird. Abbildung 3 zeigt die beiden Stabilitätskriterien für Stahl in Abhängigkeit von der Elementgröße. Sollen die mechanischen Prozesse in der Postignition-Phase beziehungsweise bereits kurz vor der Zündung wieder berücksichtigt werden, so sieht der Multizeitskalenansatz dafür eine Zeitschrittreduktion vor (Abbildung 4). Sobald der Zeitschritt unterhalb des mechanischen Stabilitätskriterium liegt, kann neben der Energiebilanz auch die Massenbilanz und die Impulsbilanz gelöst werden.

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Abbildung 5: Simulierte Verteilung der Temperatur und des Reaktionsfortschritts für ein Kilowatt Laserleistung zum Zündzeitpunkt von circa einer Minute.

Simulation der Preignition-Phase

In einem ersten Schritt wurde zunächst die Preignition- Phase unter Berücksichtigung thermischer und chemischer Prozesse und unter Vernachlässigung mechanischer Prozesse modelliert. Die Simulation enthält die Einkopplung der Laserstrahlung in den Stahlmantel, die Wärmeleitung durch den Stahlmantel und in das energetische Material sowie dessen chemische Reaktion über ein Reaktionsgesetz mit Arrhenius-Kinetik. Für diesen Fall wurde ein Verfahren zur Temperaturberechnung entwickelt und validiert, das für das hydrocodetypische explizite zeitliche Integrationsverfahren der Energiegleichung die Berücksichtigung einer temperaturabhängigen spezifischen Wärmekapazität erlaubt. Die im Experiment bestrahlte zylindrische Probe wurde in der Simulation dreidimensional in Viertelsymmetrie modelliert. Abbildung 5 zeigt die simulierte Verteilung der Temperatur und des Reaktionsfortschritts »Lambda« im Moment der Initiierung für eine Laserleistung von einem Kilowatt. Die Simulationsumgebung wurde anhand experimenteller Messungen validiert. In Abbildung 6 sind rechts gemessene und simulierte Temperaturverläufe für die Laserleistung von einem Kilowatt gezeigt, links die resultierenden Reaktionszeiten für Laserleistungen bis fünf Kilowatt. In Abhängigkeit von den gemessenen Absorptionsgraden ist die Übereinstimmung der Simulationsergebnisse sehr gut.

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Abbildung 6: Erfolgreiche Validierung der Simulationsumgebung durch Vergleich des gemessenen und simulierten Temperaturanstiegs für ein Kilowatt Laserleistung und der Reaktionszeiten für mehrere Laserleistungen.

Thermisch-chemisch-mechanische Simulation des gesamten Laser-Cookoffs

Eine wichtige Neuerung des Modellierungsansatzes ist die Möglichkeit, mechanische Prozesse und damit auch die Postignition-Phase zu simulieren. Hierfür wurde zusätzlich zu dem oben beschriebenen Multizeitskalenansatz ein Modell für das energetische Material implementiert, das während der chemischen Reaktion mit einer Mischungsregel das gleichzeitige Auftreten von festen Edukten und gasförmigen Produkten in einem numerischen Element abbildet. Demnach addieren sich die mit dem Reaktionsfortschritt gewichteten spezifischen Volumina und spezifischen inneren Energien der beiden Phasen zum Volumen beziehungsweise zur Energie des gesamten Elements. Es wird angenommen, dass beide Phasen im mechanischen und thermischen Gleichgewicht vorliegen, das heißt, ihr Druck und ihre Temperatur sind gleich. Die Phasendrücke und -temperaturen werden mit thermischen beziehungsweise kalorischen Zustandsgleichungen beschrieben. Dieses Materialmodell wird iterativ gelöst.

Die Berechnung des soeben beschriebenen Materialmodells ist rechenintensiv und der für den Laser-Cookoff typische hohe Temperaturgradient erfordert im energetischen Material eine feine Vernetzung, um die im Versuch beobachteten Versuchszeiten zuverlässig vorhersagen zu können. Dies hat impraktikabel hohe Rechenzeiten zur Folge. Um auch mit einer weniger feinen Vernetzung ein hinreichend genaues Ergebnis zu erzielen, wurde für das Reaktionsgesetz ein Temperaturinterpolationsansatz entwickelt. Statt einer konstanten Temperatur wird in einem Element eine abschnittsweise lineare Temperaturverteilung angenommen, diese in das Arrhenius-Gesetz eingesetzt und über das Elementvolumen integriert. Die Konvergenz dieses Verfahrens konnte in numerischen Analysen auch für weniger feine Auflösungen nachgewiesen werden. Damit ist eine vollständige Laser-Cookoff-Simulation von der Preignition-Phase über die Zündung bis in die Postignition-Phase mit einer guten Genauigkeit und einer guten Recheneffizienz möglich.

Zur Demonstration des Potenzials des gewählten Simulationsansatzes zeigt Abbildung 7 die Simulation der Vorgänge in der Postignition-Phase, in der die Umsetzung des Explosivstoffs im Anschluss an die Zündung mit einem bekannten, druckabhängigen Reaktionsmodell berechnet wurde. Die Ausbildung einer Detonationswelle lässt sich somit auch für den Laser-Cookoff (Abbildung 7) nach der thermischen Initiierung und einer zusätzlichen Induktionszeit modellieren. Aufbauend auf diesen Fähigkeiten der Simulationsumgebung können zukünftige Arbeiten unter anderem dazu dienen, die Modellierung der Reaktion in der Postignition-Phase noch besser auf experimentelle Ergebnisse abzustimmen, bei denen auch nicht detonative Umsetzungen beobachtet wurden.

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Abbildung 7: In der Postignition-Phase simulierte Druckverteilungen. Die Zeitangaben beziehen sich auf den Initiierungszeitpunkt. Ab etwa 15 Mikrosekunden nach der Initiierung bildet sich eine stabile Detonationswelle aus, die zwei Mikrosekunden später auf das Probenende trifft.