Exzellenz in der Weiterentwicklung von Hydrocodes

Exzellenz in der Weiterentwicklung von Hydrocodes

© Fraunhofer EMI
Numerisches Modell (RVE) und CT-Aufnahme von PBX.

Am Ernst-Mach-Institut werden seit vielen Jahren Hydrocodes, numerische Simulationsverfahren für hochdynamische Vorgänge wie Crash, Impakt und Explosionen, angewendet. Neben Programmen verschiedener Softwareanbieter werden auch eigene Hydrocodes des Instituts kontinuierlich weiterentwickelt, in Projekten eingesetzt und auch für externe Kunden lizensiert.

Ein besonders anspruchsvolles Anwendungsgebiet ist die Simulation von Initiierungsvorgängen in plastikgebundenen Sprengstoffen (PBX) auf der Mesoskala: In numerischen Modellen wird die heterogene Struktur dieser aus einem kunststoff-basierten Binder und mikrometer- bis millimetergroßen explosiven Kristallen in hoher räumlicher Auflösung repräsentiert. Die Herausforderung ist dabei, das Verhalten des Materials bei schneller mechanischer oder thermischer Belastung bis zu einer möglichen Initiierung genau abzubilden, um den Zeitpunkt einer Umsetzung vorhersagen zu können. Innere Prozesse wie Schädigung durch Ablösung der Kristalle vom Binder oder ein Brechen von Kristallen spielen dabei eine wichtige Rolle. Mit derartigen Modellen sollen Sicherheitseigenschaften von PBX, beispielsweise die Unempfindlichkeit gegenüber stoßartigen Belastungen, untersucht und durch Änderung der Zusammensetzung optimiert werden. Die für diese Anwendung benötigten neuen Methoden werden im EMI-eigenen Programm SOPHIA implementiert, das im Auftrag der Bundeswehr für die Mesoskalensimulation von PBX eingesetzt wird.

© Fraunhofer EMI
Uniaxial gedrücktes RVE (oben), Kristallstruktur ohne Binder (Mitte), Kohäsivzonen-Elemente mit Schädigungsgrad (unten).

Eine wesentliche Teilaufgabe besteht in der Erzeugung repräsentativer Strukturmodelle. Hierzu können im Institut computertomografische Aufnahmen von Explosivstoffproben durchgeführt werden. Die Materialstruktur ist extrem komplex und muss für numerische Simulationen vereinfacht werden. Zur Modellerzeugung werden EMI-eigene Programme verwendet, die auf Basis gegebener Korngrößenverteilungen Geometriemodelle mit charakteristischen Kristallen erzeugen. Diese sogenannten »Repräsentativen Volumenelemente« (RVEs) werden im nächsten Schritt in Gittermodelle umgewandelt, die zusammen mit den benötigten Materialdaten sowie Anfangs- und Randbedingungen die Grundlage für Finite-Elemente-Berechnungen bilden. Umfangreiche Optimierungen sind dabei nötig, um die richtige Balance zwischen Effizienz und Genauigkeit der Berechnung zu finden.

In SOPHIA sind mittlerweile Methoden verfügbar, die in dieser Kombination in kommerziellen und auch in Forschungscodes anderer Institutionen weltweit nicht zu finden sind. Hierzu gehören die benötigten Algorithmen für die Berechnung von Temperaturen in dynamisch belasteten Materialien, die mit einer besonderen Elementformulierung für Tetraeder verknüpft wurden. Tetraederelemente haben den Vorteil der größtmöglichen Flexibilität in der Geometrieabbildung, neigen ohne besondere Korrekturverfahren aber bei wenig kompressiblen Materialen, wie es Bindermaterialien typischerweise sind, zu numerischen Instabilitäten. Die Abbildung auf Seite 22 zeigt das RVE im Ausgangszustand sowie die simulierte Geschwindigkeits- und Temperaturverteilung, wenn der rechte Rand mit einer Geschwindigkeit von 1000 Metern pro Sekunde nach links gedrückt wird und die entstehende Welle beinahe die linke Seitenfläche erreicht hat.

Einzigartig ist auch die Möglichkeit, in SOPHIA Materialversagen, zum Beispiel die Ablösung von Kristallen von der umgebenden Bindermatrix, in dreidimensionalen Modellen von PBX mit bruchmechanisch basierten, sogenannten »Kohäsivzonen- Elementen« abzubilden. Die Elemente werden während der Berechnung automatisch dort eingefügt, wo die Maximalfestigkeit überschritten ist, und beschreiben eine mit zunehmender Schädigung abnehmende Traktion in der Rissfläche. Die Darstellung rechts zeigt ein uniaxial gedrücktes RVE, darunter die Kristallstruktur ohne Binder und ganz unten die Kohäsivzonen-Elemente mit ihrem Schädigungsgrad.

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Repräsentatives Volumenelement im Ausgangszustand sowie die simulierte Geschwindigkeits- und Temperaturverteilung.