Wärmemanagement für Satelliten

Im Weltraum gibt’s keine Luft:

Wärme wird daher vorrangig durch Strahlung aufgenommen und abgegeben. Das ist im Detail komplex, weil jede Komponente eines Satelliten seine Wärme in alle Richtungen abstrahlt. Die Wärme wird daher von allen anderen Komponenten des Satelliten aufgenommen, die Sichtkontakt haben. Das kann zum Problem werden: Viele Komponenten von Satelliten dürfen weder zu heiß noch zu kalt werden, zum Beispiel Batterien, Treibstofftanks und Elektronik. Daher werden Satelliten vor dem Start in Thermal-Vakuum-Kammern getestet, um die Betriebsgrenzen sicherzustellen.
 

Test des Thermalverhaltens schon vor der Mission

Meist möchte man die Temperaturen in einem Satelliten bereits in der Entwurfsphase ermitteln: Je eher kritische Betriebszustände erkannt werden, desto einfacher ist es, durch entsprechende Maßnahmen gegenzusteuern, um eine erfolgreiche Mission gewährleisten zu können. Daher soll das Thermalverhalten eines Satelliten in der Regel schon früh im Entwurfsprozess berechnet werden, deutlich bevor ein Prototyp gebaut wird und einem Thermal-Vakuum-Test unterzogen werden kann.

Für eine solche Modellierung müssen die sogenannten Sichtfaktoren ermittelt werden. Diese geben für jede Oberfläche an, wie viel der ausgesendeten Wärmestrahlung auf jede andere Oberfläche des Satelliten übertragen wird. Hierzu müssen komplexe Integrale gelöst werden, sodass die Sichtfaktoren für alle relevanten Geometrien nur näherungsweise bestimmt werden können. Da die Sichtfaktoren paarweise für alle Oberflächen ermittelt werden müssen, steigt die Komplexität des Problems stark (quadratisch) mit der Anzahl der Komponenten in einem Satelliten. Um trotzdem in annehmbarer Zeit belastbare Aussagen treffen zu können, werden entsprechend effiziente Algorithmen benötigt. Die Grundlagen dafür haben Ingenieure der NASA bereits in den 1960er Jahren formuliert. Diese von der NASA entwickelten Modelle und Algorithmen wurden später in der Computergrafik weiterentwickelt, heute werden sie zum Beispiel beim Rendern in Kinofilmen verwendet.

 

© NASA
Beim James-Webb-Weltraumteleskop müssen Teile bis auf unter 15 Kelvin gekühlt werden – eine Herausforderung für das Thermalmanagement.
© ESA
Die BepiColombo-Mission: Nahe am Merkur ist das Thermalmanagement wegen der großen Nähe zur Sonne besonders wichtig.
© ESA
Beim passiv gekühlten Gaia-Satelliten der ESA muss die Nutzlast bei einer Temperatur von rund –110 Grad Celsius betrieben werden.

 

Software für die Thermalmodellierung

Heutzutage profitiert die Thermalmodellierung für Satelliten von den weiterentwickelten Raytracing-Algorithmen. Zusätzlich können seit einigen Jahren besonders leistungsfähige Grafikkarten auch Raytracing-Berechnungen in spezieller Hardware stark beschleunigt durchführen. Da dieselben Algorithmen auch bei der Berechnung der Sichtfaktoren verwendet werden, war die Frage, ob diese Hardwarealgorithmen auch für die Thermalmodellierung eingesetzt werden können. Um dies zu demonstrieren, hat das Fraunhofer EMI für die ESA eine Prototypensoftware entwickelt, mit der die Sichtfaktoren auf NVIDIA-RTX-Grafikkarten unter Zuhilfenahme der Hardwarebeschleunigung erheblich schneller als bisher berechnet werden können. Das Ziel der Arbeiten war dabei vor allem, eine funktionsfähige Prototypensoftware zu erstellen.

Die erfolgreich am EMI entwickelte Prototypensoftware demonstriert, dass eine solche Implementierung grundsätzlich möglich ist. Zusätzlich konnte mit der Prototypensoftware die Berechnung der Sichtfaktoren für komplexe Beispielgeometrien, wie zum Beispiel einem Modell der ISS, um den Faktor zwei bis drei beschleunigt werden. Die erste Version konnte ausschließlich mit dreiecksbasierter Geometrie umgehen. Mittlerweile wurde eine zweite Version der Prototypensoftware fertiggestellt, die auch komplexere Geometrieelemente wie Kugeln, Zylinder und Kegel in mathematisch exakter Darstellung in die Berechnung einbeziehen kann. Auch kann die zweite Version mit teilreflektierenden Oberflächen sowie mit unterschiedlichen thermischen Eigenschaften der Vorder- und Rückseite von Oberflächen umgehen.

Die Software selbst ist in C++ geschrieben und verwendet das OptiX-Framework von NVIDIA. Sie ist quelloffen und soll Interessenten über ein öffentlich zugängliches Software-Repository zur Verfügung gestellt werden. Prinzipiell können die verwendeten Algorithmen auch auf andere Frameworks, wie beispielsweise den Vulkan Ray Tracing Extensions, portiert werden und somit auch auf Grafikkarten anderer Hersteller wie AMD Radeon RX oder Intel Xe laufen. Mit der zunehmenden Verfügbarkeit von immer leistungsfähigeren Grafikkarten werden solche Berechnungen in Zukunft deutlich weniger Zeit benötigen.

© Fraunhofer EMI
Globale Sichtfaktoren für den am EMI entwickelten Nanosatelliten ERNST, hier ohne zwei Seitenwände zur besseren Visualisierung.